Morgans gelten als eleganter Inbegriff klassischen, britischen Sportwagenbaus, der seine
Tradition mit dieser Marke nun schon seit über 100 Jahren unbeirrt fortsetzt. Doch dass man mit
so einem Wagerl das knallharte 24-Stunden-Ausdauer-Rennen von Le Mans gewinnen kann, flößt doch
gesteigerte Hochachtung ein. Mit im Bewerb waren 1962 Marken wie Ferrari, Maserati, Jaguar,
Aston Martin, Porsche, Alfa, Lotus & al. Von 62 Startern konnten nur 18 (!!!) das Rennen
beenden. Der Rest fiel aus. Der Morgan +4 gewann die GT-2-Liter-Klasse und schaffte 270 Runden
bei einer Streckenlänge von 13,461 km mit damals noch zwei (heute drei) sich abwechselnden
Fahrern. Gefahren wurden insgesamt 3634,47 km. Durchschnittsgeschwindigkeit daher: 151,43 km/h.
Schnell & haltbar
In Le Mans muss ein Auto – von 16 Uhr bis 16 Uhr - nicht nur Schnelligkeit, sondern auch
Haltbarkeit beweisen: „Ziel des Rennens ist es, möglichst viele Runden innerhalb von 24 Stunden
zurückzulegen und nach 24 Stunden die Ziellinie zu überqueren.“* Als berüchtigt gilt dabei eine
5 km lange Gerade, von den Engländern Mulsanne Straight genannt. Bis 1990 wurden dort
Geschwindigkeiten von über 400 km/h gerast. Der Österreicher Jo Gartner kam mit seinem Porsche
962 aufgrund gebrochener Hinterradaufhängung am 1. Juni 1986 von der Strecke ab. Dieser Unfall
bei über 300 km/h endete tödlich. Deshalb wurden 1990 aus Sicherheitsgründen zwei Schikanen
eingebaut, sodass „nur“ mehr etwa 340 km/h erzielt werden können.
Tok 258
Der siegreiche Morgan, Startnummer 29, mit der legendären Nummertafel TOK 258, hatte natürlich
auf dieser Geraden 1962 mit seinen 217 km/h Spitzengeschwindigkeit eher weniger zu vermelden.
Doch in der scharfen Virage de Mulsanne am Ende der Geraden konnte er seine gute
Kurvengängigkeit vorteilhaft nutzen, wo andere ihre PS-Protz-Boliden unrettbar in den Sand
setzten. Als Oldtimer-Fan kann man eine gewisse Zufriedenheit nicht verhehlen, wenn man das Foto
sieht, in dem der altmodische Morgan an gestrandeten futuristischen Superschlitten vorbei durch
die Kurve zieht. Pilot Chris Lawrence stand im Ruf als schwer überbietbarer Kurvenfahrer.
„Legendär war der 1925 eingeführte Le-Mans-Start, bei dem die Fahrer über die Fahrbahn zu ihren
vor der Boxengasse aufgestellten Fahrzeugen sprinten mussten.“* Chris Lawrence hatte das
trainiert und war 1962 als einer der ersten unterwegs, zum Verdruss der Konkurrenz. „1955 kam es
bei diesem Rennen zur größten Katastrophe des Motorsports, als Teile des Mercedes Benz 300 SLR
des Franzosen Pierre Levegh nach einer Kollision auf der Zielgeraden in die dortige
Zuschauertribüne flogen.“* 84 Leute starben.
Chris Lawrence
Der Vater des Morgan-Sieges von Le Mans 1962 heißt Chris Lawrence, ein Benzinbruder der
Sonderklasse: Kühner, gewiefter Rennfahrer; genial im Frisieren, Umbauen, Neuerfinden von Autos
und Motoren. Als zweiten Fahrer für den Wechsel im Drei-Stunden-Takt heuerte er den tüchtigen
Richard Shepherd-Barron an.
Wer die alten Fotos betrachtet, wird bemerken, dass dieser Morgan +4 für einen +4 ziemlich
schmal und geduckt aussieht. Was daran liegt, dass Lawrence, um den Wagen leichter und
schnittiger zu machen, aus Morgan 4/4-Ersatzteilen eine neue Karosserie mit Hardtop baute. Die
Morgan Motor Co. wollte ihm die nötigen Teile für solchen Umbau nicht als Ganzes liefern.
Derartige Veränderung widersprach der Firmenpolitik. Der hartnäckige Lawrence, von der
Wichtigkeit leichterer Teile überzeugt, orderte diese schließlich bei verschiedenen Händlern
einzeln.
Aufgemotzter Vorkriegswagen
Für Le Mans wurde bei TOK 258 eine Lackierung in British Racing Green verlangt. Lawrence
befürchtete, dass Peter Morgan seine 4/4-Adaptierungen nicht goutieren könnte und ließ daher das
Auto unauffällig direkt in die Morgan-Lackiererei bringen. Außerdem war er nicht liquid genug,
um die Neu-Färbelung anderswo selbst zu finanzieren. Lawrence sah sich betreffend die
Startgenehmigung in Le Mans auf die Morgan Motor Co. angewiesen. Denn schon 1961 hatte er
versucht, einen Morgan unter Lawrencetune Engines Ltd. in Le Mans anzumelden. Doch im letzten
Augenblick kam die Ablehnung. Denn Triumph startete damals drei Autos und wollte nicht, dass ein
Konkurrent mit einem älteren, frisierten Triumph-Motor u. U. besser sein könnte. Lawrence wurde
daher abgeschaselt: Sein Auto sei ein unsicherer, aufgemotzter Vorkriegswagen.
1962 aber meldete sich Lawrence unter der Marke Morgan Motor Co. Ltd. mit seinem TOK 258 in Le
Mans an. Und plötzlich war für die Gutachter dort alles formidabel und wurde konsentiert.
Baujahr des Fahrzeugs: 1956(!!!), was die Solidität der Markenkonstruktion unterstreicht. Wer
ginge heute mit einem sechs Jahre alten Auto nach Le Mans?
Renn-Tuning & Boots-Ölkühler
Chris Lawrence allerdings hatte ein bissl was getan, um dem Wagerl auf die Sprünge zu helfen:
Dem +4 wurde ein leichterer Alu-4/4-Aufbau mit glatterem Unterboden verpasst. Mit
Koni-Stoßdämpfern, auf 45 Grad eingebaut, minimierte er das Trampeln der starren Hinterachse.
Verstärkte Achsschenkel verbesserten die ohnehin gute Morgan-Kurvengängigkeit. Der Motor,
Triumph TR3, 4-Zylinder, wurde Lawrence-frisiert und kriegte eine spezielle Nockenwelle, die Le
Mans hoffentlich überdauern sollte, sodass man mit relativ niedriger Drehzahl geschwind
unterwegs sein konnte, ohne das Aggregat zu überlasten. Ein Faktum, das viele ausgeschiedene
Konkurrenten außer Acht ließen. Hubraum: 1,991 Liter. Motorleistung bei 5700 rpm: 139, 9 PS. -
Max. Drehmoment bei 3800 rpm: 189,81 Nm.(!) Weber 42 DCOE Doppelvergaser wurden verwendet und
die spezielle Auspuffanlage von Lawrence. Außerdem ein Boots-Ölkühler und ein 100-Liter-Tank,
abgestimmt auf 3-stündigen Fahrerwechsel. Leergewicht: 800 kg. Die Mintex-Bremsbeläge hielten
durch. Ebenso die Dunlop-Reifen. Nur vier Stunden vor Schluss gab es einen Riss beim
Auspuffkrümmer und damit viel Lärm und weniger Leistung. Für Reparatur war keine Zeit. Von den
insgesamt 24 Stunden verbrachte der Morgan nur 28 Minuten beim Boxenstopp: feiner Beweis für die
Verlässlichkeit der Morgan-Lawrence-Konstruktion. Benzinverbrauch: sparsame 9,74 l/100 km.
Ob TOK 258 im adaptierten Wohnanhänger nach Le Mans transportiert oder selbst hingefahren wurde,
bleibt unbekannt. Ein zweiter Morgan jedenfalls war als Ersatzteillieferant mit von der Partie.
Die Crew, unterstützt von der Morgan Motor Co., lagerte in Le Mans praktisch und knapp bei den
Toiletten. CEO Peter Morgan schaute sich die Sache am Samstag mit melancholischem
Gesichtsausdruck an. Darauf Lawrence zu ihm: „ Es wird schön sein, das alte Auto am Sonntag um 4
Uhr daherkommen zu sehen, nicht wahr?“ Und tatsächlich erlebten Chris Lawrence und Peter Morgan
den großartigen Moment, als Richard Shepherd-Barron nach 24 Stunden mit dem Morgan +4 (oder
4/4?) erfolgreich durch das Ziel fuhr und die karierte Flagge geschwenkt bekam.
David & Goliath
Das Rennen selbst verlief für die Fahrer relativ unspektakulär bei trockenem Wetter. Das Auto
ging gut. Man vermied Überdrehungen und war beim Überholen langsamerer Wägen auf der langen
Geraden wachsam, ob kleine Punkte im Rückspiegel sich nicht als heranrasende Ferraris etc.
entpuppten. Nebelbänke abends und morgens bauten sich als undurchsichtige Hindernisse auf, und
man konnte nur hoffen, dass darin kein havariertes Fahrzeug stand. Gegen Ende des Rennens fiel
den Fahrern auf, dass sie ziemlich allein auf der Strecke waren, und in der Tat sieht man auf
den Fotos TOK 258 weitgehend einsam unterwegs. Denn nicht einmal ein Drittel des Starterfelds
kam durch das Ziel. Der Rest versagte.
Charmant an der Geschichte ist die David – Goliath – Situation: Ein Team von Enthusiasten mit
ein bisschen Firmenhilfe gewann in seiner Klasse im Wettstreit mit finanziell potenten
Auto-Konzernen, die technisch weit voraus schienen. Das Sieger-Fahrzeug, traditionell gebaut,
mit Leiterrahmen, Holzbodenplatten und Holzaufbau in Leichtbauweise, bewies seine Überlegenheit.
Radaufhängung, Motorisierung, Minimalgewicht sowie gescheite Taktik führten zum Sieg. Sehr
schön.
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